Interview mit Thomas Schulze, Referent EU-Verwaltungsbehörde für die ESI-Fonds EU-VB-ELER im Ministerium der Finanzen des Landes Sachsen-Anhalt
Sehr geehrter Herr Schulze, was genau machen Sie bei LEADER, wie ist Ihre persönliche Rolle?
Thomas Schulze: Ich bin im Finanzministerium als eine von zwei Personen mit der Organisation und Steuerung des LEADER-Prozesses in Sachsen-Anhalt beschäftigt. Wir entwickeln und begleiten gemeinsam dessen Umsetzung. Direkt zuständig bin ich zudem für die Fördermittel für LEADER aus dem sogenannten ELER-Fonds, dem Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raumes.
Wir kümmern uns um die landesseitigen Rahmenbedingungen, um die Voraussetzungen für die Gründung von Lokalen Aktionsgruppen – also um die Struktur und konstitutionelle Fragen. Die EU gibt ihrerseits Rahmenbedingungen vor und wir sind sozusagen die „Regelmacher“ für die konkrete Umsetzung von LEADER im Land. Wir begleiten auch das professionelle Management der Aktionsgruppen, in diesem Fall den LEADER-Manager Björn Gäde sowie Kooperationen zwischen LEADER-Gebieten.
Welches Resümee ziehen Sie nach der jetzt ablaufenden Förderperiode?
Wir hatten eine experimentelle Phase durch die Einbindung der EU-Fonds EFRE und ESF. Das war gerade zu Beginn schwierig, aber ich denke, dass das Experiment erfolgreich war. Wir hatten ebenso im Bereich der angestammten ELER-Förderung viele neue Herausforderungen zu meistern. Aber auch in diesem Bereich sehe ich vom Ende her einen Erfolg, selbst wenn es am Anfang ruckelte. Das hat aus meiner Sicht, gerade zum Ende der Förderperiode hin, zu einem Zusammenschweißen innerhalb der Gruppen, aber auch der beteiligten Akteure mit der Verwaltung geführt. Wir versuchen mit diesem Wissen, solche Schwierigkeiten für die nächsten Jahre im Vorhinein zu minimieren.
Sie sprechen von Erfolg, lag dieser auch am gewählten Multifondsansatz?
Wenn wir nur den ELER-Fonds und seine Möglichkeiten gehabt hätten, stoßen wir gerade bei LEADER schnell an Grenzen. Die Projekte und Ideen vor Ort sind nicht nur auf die Fördermöglichkeiten dieses Fonds beschränkt. Die Hinzunahme der anders angelegten EU-Fonds EFRE und ESF eröffnet deutlich mehr Möglichkeiten, Menschen mit ihren Ideen zu unterstützen – und damit unter LEADER zu vereinen.
Vor allem mit dem ESF fördern wir – salopp gesagt – Köpfe und nicht Steine. Damit eröffneten sich neue Themen. Auch mit den Mitteln aus dem EFRE-Fonds öffnete sich das Spektrum, zum Beispiel über den ländlichen Raum hinaus in die Städte. Außerdem konnten wir damit das ganze Thema rund um das kulturelle Erbe in völlig neuen Dimensionen bespielen.
Bislang flossen rund 5 Prozent der Mittel aus dem ELER-Fonds in die LEADER-Förderung, ab 2023 sollen es bis zu 20 Prozent werden. Warum ist das so geplant?
Es waren auch jetzt schon mehr als 5 Prozent, wir haben zum Schluss der Förderperiode knapp über 10 Prozent erreicht. Aber es stimmt, es soll noch deutlich mehr werden. Die Politik und speziell die Landesregierung hat erkannt, dass die Umsetzung der finanziellen Mittel über LEADER eine große Chance bietet: nämlich ein bedarfsgerechtes Produktportfolio. Die typische Förderung kümmert sich um das „Projekt von der Stange“. Bei LEADER ist das anders. Für die Menschen vor Ort ist es besser, darauf zu hören, was die Projektidee der Region ist.
Das soll in Zukunft stärker honoriert werden. Denn es trägt noch mehr dazu bei, dass sich die Projektträger zufriedener fühlen. Das ist auch eine Würdigung des starken ehrenamtlichen Engagements. Darum ist man bereit, in Zukunft mehr Geld in den LEADER-Ansatz zu geben. Hinzu kommt, dass in Zukunft derzeit noch parallel bestehende Verwaltungsstrukturen für Förderansätze in LEADER mit eingebunden werden.
Ist das auch eine Bestätigung für den Button-Up-Ansatz, also das Entscheiden der Basis über die Vergabe von Mitteln?
Ja, wir benutzen da gern das geflügelte Wort „LEADER-Mehrwert“. Wenn ein Projekt über LEADER gefördert wird, ist es auch in einer Gruppe diskutiert und beraten worden. Das Projekt ist nicht isoliert und über die Kommunikation entstehen zudem Netzwerke – und im Zweifel sogar ein besseres Projekt.
Die Politik will die Einwohnergrenzen für Lokale Aktionsgruppen anheben. Warum?
Die Entscheidung an sich, ist nicht neu. Auch bisher durfte eine LAG weder „zu groß“ noch „zu klein“ sein. Der Elb-Havel-Winkel hat die kleinste LAG im Land, die schon für die aktuelle Förderperiode nur mit einer Ausnahmeentscheidung genehmigt wurde. Da die Aktionsgruppen in Zukunft institutioneller, also zum Beispiel als Vereine, aufgestellt werden sollen, stellt sich die Frage einer Mindestgröße viel schärfer. Das hat etwas mit Effizienz zu tun.
Darum hat die Landesregierung entschieden, dass mindestens 30.000 Einwohner in einer LEADER-Region leben sollen. Sie erkennt aber gleichzeitig an, dass es sehr dünn besiedelte Gebiete gibt – darum können unter bestimmten Voraussetzungen LAGn auch bei minimal 10.000 Einwohnern ihre Arbeit aufnehmen. Dazu gehört unter anderem eine nachweisliche Kooperation mit einer anderen LAG, bspw. beim späteren LEADER-Management.
Die LAG im Elb-Havel-Winkel hat doch in den vergangenen Jahren gute und auch effiziente Arbeit geleistet, oder?
Die LAG im Elb-Havel-Winkel war und ist seit jeher die kleinste Aktionsgruppe in Sachsen-Anhalt. Und im Vergleich hat sie sehr gut gearbeitet – gerade im Sinne von Erfolg und Effizienz. Das kam sicher auch zustande, weil es bereits ein gemeinsames Management mit einer Nachbarregion gab. Darum ist es in Zukunft vielleicht sinnvoller, mit dieser Region unter einem gemeinsamen Dach, einer gemeinsamen Struktur zu agieren – und dabei dennoch beiden Regionen gleichzeitig ihre Individualität zu belassen.
Wenn Sie in die nächste Förderperiode schauen: Welche Veränderungen wird es noch geben?
Es sind vor allem die strukturelle Umstellungen wie die Organisation in einer neuen Rechtsform. Das bringt besondere Herausforderungen für alle Beteiligten mit sich. Aber in Zukunft sollen die Aktionsgruppen auch über die konkreten Förderhöhen für die Projekte entscheiden. Das wird ein ebenso deutlich neuer Entwicklungsschritt.
Welche Chancen sehen Sie in den nächsten Jahren für den LEADER-Prozess, aber auch für die beteiligten Menschen und den ländlichen Raum?
Ich sehe vor allem, dass deutlich mehr Finanzmittel bereitgestellt werden, um sie in regionaler Verantwortung zu verteilen und einzusetzen. Ich sehe die Chance für LEADER, vor allem aufgrund der verbindlicheren Institutionalisierung der Gruppen, eine stärkere „Eigenmarke“ zu werden. Die Gruppen können so auch ohne Abhängigkeit von Fördermitteln verbindlicher in die Zukunft kommen.
Und zum Schluss: Was wünschen Sie sich für die Entwicklung von LEADER.
Oh, ich hätte viele Wünsche. Aber ein besonders gewichtiger wäre, dass wir die Chance hätten, die Förderung von der Verwaltungsseite her grundlegend zu vereinfachen. Das wünsche ich mir wirklich persönlich.
Ich wünsche mir auch, dass LEADER ein Anker zum „Hierbleiben“ und die Quelle der Motivation zum Mitgestalten gerade für Menschen auf dem Land ist und bleiben wird.
Und ich wünsche mir, dass sich die Menschen in den LEADER-Gruppen ihr Selbstbewusstsein und „Standing“ bewahren und dies weiterhin in die Region, aber ebenso für die Region gegenüber Politik und Verwaltung vertreten.
Das Interview führte Björn Menzel, Journalist und Dipl. Kaufmann.